Nach dem verlängerten Wochenende nimmt die EU-Bubble heute wieder die Arbeit auf – und startet gleich in eine Woche, die für Europas Rechtsaußen entscheidend werden könnte.
Am Donnerstag stimmt das Europäische Parlament über ein umstrittenes Gesetz ab, das die Sorgfaltspflichten für Unternehmen deutlich abschwächen soll. Hinweise mehren sich auf einen Deal zwischen der Mitte-Rechts-Fraktion und der extremen Rechten. Viktor Orbáns und Marine Le Pens „Patrioten für Europa“ – gemeinsam mit Teilen der Europäischen Volkspartei (EVP) um Manfred Weber – drängen darauf.
Trotz aller Rhetorik über ein neues, rechtspopulistisches Parlament hat sich die Allianz bislang kaum inhaltlich formiert – abgesehen von symbolischen, unverbindlichen Abstimmungen, etwa über die Frage, ob Venezuelas linksgerichteter Präsident Nicolás Maduro offiziell als Diktator bezeichnet werden soll. Donnerstag könnte das ändern.
Eine – wenn auch knappe – Mehrheit von der Mitte-Rechts bis zur extremen Rechten könnte das bisherige Tabu brechen und einen Präzedenzfall schaffen für weitere Deregulierungsinitiativen. Während die EVP das als „unternehmensfreundlichen Pragmatismus“ verkaufen würde, dürfte das Lager der „Patrioten“ triumphierend verkünden, ihr Plan, die Mitte-Rechts-Fraktion von den Sozialdemokraten zu lösen, sei aufgegangen.
Beim ersten Versuch war der Entwurf noch gescheitert – wegen Abweichlern bei den Sozialdemokraten, die keinen schmutzigen Kompromiss mittragen wollten. Nun sieht sich die EVP nach ihrem demonstrativen Linksschwenk im Recht, einen alternativen Pakt zu schmieden.
Die Grünen klingen inzwischen fast resigniert. „Ich finde es empörend, dass die EVP eine proeuropäische Lösung blockiert, wochenlang Gespräche mit den demokratischen Fraktionen verweigert und stattdessen ein Bündnis mit der extremen Rechten eingeht“, sagte Grünen-Unterhändlerin Kira Marie Peter-Hansen.
Die letzten Änderungsanträge können heute eingereicht werden. Stillstand ist diesmal keine Option. Parlamentspräsidentin Roberta Metsola steht unter massivem Druck der EU-Staats- und Regierungschefs, endlich ein klares Votum zu liefern – damit der Kampf der EU gegen Bürokratie weitergehen kann. Am Freitag trifft sie niemand Geringeren als Emmanuel Macron.
Angesichts dessen, dass das französische Parlament kürzlich erstmals ein Gesetz von Rechtsaußen verabschiedet hat, dürfte es Gesprächsstoff genug geben.
Zwei ungarische Handgranaten
In bislang unveröffentlichten Äußerungen hat der Präsident des Europäischen Gerichtshofs Viktor Orbáns Ungarn bei einer Rechtsstaatsveranstaltung in Brüssel scharf kritisiert, berichtet Magnus Lund Nielsen.
Gerichtspräsident Koen Lenaerts betonte, EU-Gelder müssten so eingesetzt werden, „dass sie nicht dazu dienen, eine Oligarchie rund um einen Herrscher oder eine Regierungspartei zu bereichern“ – ein klarer Seitenhieb auf Orbán, dem Kritiker vorwerfen, Ungarn in ein korruptes, klientelistisches System verwandelt zu haben.
Orbán wiederum wirkt nach seinem jüngsten Besuch im Weißen Haus selbstbewusster denn je, schreibt Frank Furedi – der den Ministerpräsidenten nach Washington begleitete – in einem Gastbeitrag für Euractiv. Der ungarische Regierungschef prahlte damit, ihm sei ein US-„Finanzschutzschild“ zugesagt worden, der Budapest gegen äußere Schocks – auch aus Brüssel – absichern solle.
„Das europäische Establishment wird Orbán weiter belehren, und er wird sie weiter ignorieren“, schreibt Furedi, Leiter des von Ungarn finanzierten Thinktanks MCC.
Die gescheiterte Rebellion
So viel zur Revolte. Die Verhandlungen über den 2-Billionen-Euro-EU-Haushalt sind wieder am Ausgangspunkt, wie MFR-Reporter Jacob Wulf Wold berichtet. Nach gezielten Zugeständnissen der Kommission zogen die Abgeordneten ihren Haushaltsaufstand am Montag zurück – und brachten die Gespräche wieder in vertraute Bahnen. Doch haben sie damit ihre Chance vertan, wirklich Einfluss zu nehmen?
Bis Dienstag bestätigten die Mitgliedstaaten, dass sie weiterhin freie Hand beim Haushalt behalten. Die Botschafter zeigten sich offen für einige Änderungen – etwa neue Schutzmechanismen für Regionen und ein eigenes Ziel für ländliche Entwicklung –, aber garantiert ist nichts. Das Machtverhältnis bleibt klar zugunsten der Hauptstädte verschoben.
Die Kommissionsvorschläge, die nun im Spiel bleiben, sind ohnehin jene, die der Rat akzeptabel fand – „ziemlich billig“, wie ein Diplomat kommentierte. Ein Punkt, den die Staaten weiterhin ablehnen: eine stärkere Rolle des Parlaments. Überraschung.
Skandinavier scheitern mit Klage gegen EU-Mindestlohnrichtlinie
Dänemark und Schweden sind mit ihrer Klage gegen die EU-Richtlinie über „angemessene Mindestlöhne“ weitgehend gescheitert. Der Europäische Gerichtshof bestätigte am Dienstag die Rechtmäßigkeit des Gesetzes, das Regierungen verpflichtet, Mindestlöhne festzulegen und Tarifverhandlungen zu ermöglichen.
Ein Sieg der Nordländer hätte Brüssels Sozialagenda empfindlich getroffen – ohnehin unter Druck durch den Rechtsruck und das geopolitische Klima unter einem möglichen Trump-Comeback.
Die Kommission zeigte sich erfreut über das Urteil: Der Großteil der 2022 verabschiedeten Richtlinie bleibt in Kraft. Länder wie die Niederlande und Zypern werden sie nun in nationales Recht umsetzen. Gestärkt durch den Erfolg plant Kommissionsvizepräsidentin Roxana Mînzatu für kommendes Jahr einen Gesetzesvorschlag zur Förderung „qualitativer Arbeitsplätze“.
Geld regiert
Die Eurozonen-Finanzminister beraten heute über die leicht verbesserten Konjunkturaussichten, über Bankenregulierung und den digitalen Euro, berichtet Thomas Møller-Nielsen.
Am Donnerstag folgt ein weiteres Treffen, bei dem es um den von der Kommission vorgeschlagenen 140-Milliarden-Euro-„Wiederaufbaukredit“ für die Ukraine geht. Dieser soll eingefrorene russische Staatsvermögen in Belgien nutzen, um Kyjiw zu unterstützen.
Trotz belgischer Vorbehalte halten Diplomaten einen Durchbruch vor dem EU-Gipfel im Dezember für möglich – womit Alternativen wie gemeinsame EU-Schulden zur Schließung von Kiews 65-Milliarden-Dollar-Finanzloch für 2026/27 vermieden würden.
„Ich glaube, die Mitgliedstaaten und die Regierungschefs sind grundsätzlich bereit, auf die Bedenken der Belgier einzugehen“, sagte ein hochrangiger Diplomat. „Ich denke, wir schaffen das.“
Solidarität knirscht
Brüssel stellt sich auf neue Spannungen zwischen Nord- und Südeuropa ein: Die Kommission legt ihren ersten jährlichen „migration management cycle“ vor – ein entscheidender Test für den neuen EU-Asylpakt.
Der neue EU-„Solidaritätspool“ legt fest, wie viel Unterstützung jeder Mitgliedstaat leisten muss, wenn andere unter Migrationsdruck stehen. Nach Einschätzung der Kommission sind derzeit Griechenland, Zypern, Spanien und Italien betroffen und sollen Unterstützung erhalten.
Doch diese Einstufung droht alte Konflikte neu zu entfachen. Belgien und die Niederlande fordern, dass nur Länder, die die Dublin-Regeln einhalten, Hilfe bekommen – was die südlichen Staaten kaum leisten können. Systemische Mängel könnten demnach zur Zurückhaltung von Beiträgen führen.
„Dieses Dossier birgt jede Menge Zündstoff, aber allen ist klar, dass ein funktionierender Pakt im Interesse aller liegt“, sagte ein EU-Diplomat. „Also gehen wir vorsichtig mit den Streichhölzern um.“
Gleichbehandlungsgesetz stockt erneut
Die Hoffnungen auf eine Einigung bei der Gleichbehandlungsrichtlinie schwinden. Laut einem Dokument, das Nicoletta vorliegt, erklärte Dänemark, man sei „nicht in der Lage, einen neuen Kompromissvorschlag vorzulegen“. Die Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten, nationale Gesetze gegen Diskriminierung und für gleichen Zugang zu Bildung, sozialen Rechten sowie zu Gütern und Dienstleistungen zu schaffen.
Drei Länder hielten laut den Dänen an „grundsätzlichen Vorbehalten“ fest – mutmaßlich Tschechien, Italien und Deutschland, die sich bereits zuvor kritisch gezeigt hatten. Berlin will die Bereiche Bildung und soziale Sicherung aus der Richtlinie ausklammern.
Die Kommission hatte den Entwurf nach 17 Jahren Stillstand erst im Juli wiederbelebt – nun droht das Projekt erneut zu scheitern.